Totemvögel

Neulich war ich mal wieder auf der Halde Haniel in Bottrop, die still und heimlich und bislang auch von mir unbemerkt zu einem Lieblingsort in meiner näheren Umgebung wird. Eigentlich ist der Aufstieg auf die Halde recht mühsam. Zumindest, wenn man einen Fotorucksack, seinen Inhalt und ein Stativ mit hinaufschleppt. Und wenn man keine Zeit verlieren möchte und daher die Abkürzungen wählt. Diese führen von den, gemächlich in Serpentinen nach oben schlängelnden, breiten Wanderwegen geradewegs durch die Büsche steil zum Gipfel. Das spart Zeit, insbesondere wenn man zum Sonnenaufgang oben sein möchte und jede Minute zählt, die man zuvor in den Federn bleiben konnte. Aber das strengt eben auch ein wenig mehr an. Zusätzlich ist es auf diesen Wegen duster und es gibt Stolperfallen in Form von Wurzeln, Steinen, rutschigem Boden und Ästen. Außerdem ist Obacht geboten, da einige Mountainbiker die Pisten ebenfalls nutzen. Also, man kann auch eher aufstehen und den Hauptweg nutzen.

Der Blick von der Halde ist für Mensch und Vogel sicher ein Grund, hier hoch zu kommen.

Oben angekommen, empfangen einen die großen bunten Stelen, die gerne auch als Totems bezeichnet werden. Wenn ich mich nicht täusche gar vom Künstler selbst, der sich für diese Zier des Haldengipfels verantwortlich zeichnet. Und mit etwas Glück, sitzen auch schon die heimlichen Herren der Halde parat. Rabenkrähen, die sich auf den einzelnen Teilen des Gesamtkunstwerks niederlassen und Ausschau halten.

Anfangs war es eher eine Notbeschäftigung, sich mit den Vögeln in dieser Situation auseinanderzusetzen, wenn sonst keine Motive zu finden waren oder sich die Lichtsituation für einen Sonnenaufgang bzw. Sonnenuntergang während des Aufstiegs doch noch ungünstig entwickelte. Mittlerweile finde ich Gefallen an dem Farbspiel und der Möglichkeit, mit den Vögeln dem Bild einen lebendigen Blickfang zu geben. Diese Momente finden sich eher am Morgen als am Abend, da diese Zeit von deutlich weniger Mitbürgern für einen Aufenthalt auf der Halde genutzt wird. Abends kann es oben schon mal etwas belebter sein.

Am Morgen sind die Vögel recht entspannt und geben dem Fotografen etwas mehr Zeit.
So kann man schon mal unterschiedliche Formate ausprobieren und mit den Vögeln aus verschiedenen Distanzen arbeiten.

Beim Naturfotofestival in Lünen hat mir einmal ein finnischer Naturfotograf, der seinerzeit herausragende und dabei besonders mystisch anmutende Habichtbilder zum Besten gab, erzählt, dass er est in den Wald geht, wenn er zuvor daheim in stiller Meditation mit den Habichten spirituell in Kontakt getreten ist. Nur wenn das gelang, war ihm klar, dass die Vögel ihm an diesem Tag Bilder von sich ermöglichen werden. Und auf diese Weise sind die Habichte auch seine persönlichen Totemvögel geworden. An diese Erzählung musste ich denken, als ich beim letzten Mal wieder an der Stelle fotografierte. Auch wenn ich den Habicht irgendwie dann doch cooler finde, scheinen die Krähen so langsam so etwas wie meine Totemvögel zu werden. Denn fast überall wo ich fotografisch auftauche sind sie auch. Ob ich mir die Zeit nehmen werde, von nun an vor jedem Haldenaufstieg im Geiste mit den Vögeln in Kontakt zu treten, wage ich allerdings zu bezweifeln. Obwohl, vielleicht erspart es den einen oder anderen erfolglosen da bilderlosen Aufstieg, weil im Schneidersitz sicher die Augen wieder zufallen…

Auch bringen unterschiedliche Lichtstimmungen sogar auf einer Kohlenhalde unterschiedliche Bilder hervor. Man kann also durchaus öfter da hoch.
Die Krähen suchen das gesamte Haldenareal nach Verwertbarem ab, sodass sie auch als Motive herhalten können, wenn sie die Totems verlassen.

Ebensogut könnte dies einen aber auch um schöne Bilder bringen. Das weiß man ja nie, was ein Morgen tatsächlich bringen wird. Außer man schafft es, dass Bild nicht als wichtigsten Aspekt des Tages zu betrachten. Dann führt jeder Morgen zumindest zu einem einzigartigen Tag.

 

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