Ein Gastbeitrag von Sandra Westermann
Leseprobe aus dem Buch „Kreative Naturfotografie”, veröffentlicht im dpunkt.verlag
Ich mag es, im Chaos des Waldes unter Einbeziehung der natürlichen Lichtverhältnisse minimalistische Bildkompositionen zu finden, um auf diese Weise eine gewisse Ruhe zu erzeugen, Bilder auf das Wesentliche zu reduzieren und dadurch den Wald auf eine andere Weise darzustellen, als man es gewohnt ist.
Lichtflecken
Bei dem Foto unten stehen drei Buchenstämme im Fokus – hervorgehoben durch eine besondere Lichtstimmung. Auf die Stämme fällt zweierlei Licht. Auf der rechten Seite, wo der Wald endet, traf kühles Licht auf die Rinde der Bäume. Es ließ die Oberflächen glatt und fast bläulich erscheinen, verstärkt durch den Kontrast zum warmen Abendlicht, das von der gegenüberliegenden Seite – hinter mir – durch das Blätterdach fiel. Dieses warme, goldene Licht warf Flecken auf die Buchenstämme, die wie zarte Farbtupfer wirkten und dem Bild eine sanfte Lebendigkeit verliehen. Dieser deutliche Kalt-Warm-Kontrast faszinierte mich sofort, und ich wusste, dass ich diese flüchtige Stimmung unbedingt einfangen musste, bevor sich die Sonne weiterbewegen und die Lichtverhältnisse verändern würde.

135 mm | ƒ 16 | 1/400 s | ISO 1250 | Vollformat | freihand
Im Hintergrund dominierte der Schatten, doch einige Bäume schimmerten leicht im Restlicht, ohne jedoch zu sehr in Erscheinung zu treten. Diese subtile Präsenz der Bäume im Hintergrund war mir wichtig – ich wollte, dass sie zwar unaufdringlich, aber dennoch präsent sind. Der Hintergrund sollte nicht einfach nur schwarz und leer wirken, sondern die Tiefe und Komplexität des Waldes subtil andeuten.
Deshalb wählte ich den Bildausschnitt so, dass die dunklen hinteren Bereiche von den unscheinbar beleuchteten Elementen im Hintergrund aufgelockert wurden. Es war mir wichtig, dass die Komposition nicht zu reduziert wirkt, sondern beim Betrachten den Blick einlädt, sich im Bild zu verlieren und die einzelnen Details zu entdecken.
Ein kleines Detail, das mir bereits bei der Aufnahme ins Auge sprang, war der grüne Zweig unten links im Bild. Zu Beginn störte er mich ein wenig, da er das ansonsten harmonische Farbspiel durchbricht. Vor Ort hatte ich jedoch keine Möglichkeit, ihn zu entfernen, und musste ihn in die Bildkomposition integrieren. Interessanterweise bringt er eine gewisse Unvollkommenheit ins Bild, die ich inzwischen sogar sympathisch finde. In einer Welt, in der viele Fotografen und Fotografinnen dazu neigen, solche »Störfaktoren« digital zu entfernen, bleibt für mich die Natur in ihrer unvollkommenen Form immer noch am reizvollsten. Das Grün des Zweiges erinnert mich daran, dass die Natur eben nie ganz perfekt ist. Für mich kommt eine Retusche in solchen Fällen nicht infrage, aber natürlich ist das eine persönliche Entscheidung, die jede bzw. jeder für sich treffen muss.
Was die technischen Aspekte betrifft, so war es mir wichtig, dass nicht nur die vordersten Stämme scharf abgebildet werden, sondern auch die Bäume im Hintergrund, so subtil sie auch im Bild erscheinen.
Auch wenn sie zurückhaltend im Hintergrund auftreten, sollten sie nicht unscharf wirken, da sie für mich ein Bestandteil der Gesamtkomposition sind. Mit einer Brennweite von 135 mm und einer Blende von ƒ 16 konnte ich die nötige Tiefenschärfe erreichen, sodass sowohl die vorderen als auch die hinteren Elemente im Bild klar unddeutlich zu erkennen sind. Diese Schärfe ist für mich entscheidend,
um dem Bild eine gewisse Tiefe zu verleihen, die es dem Betrachter ermöglicht, sich in die Szene hineinzuversetzen.
Die Aufnahme lebt von den Kontrasten – dem flüchtigen Lichtspiel zwischen Warm und Kalt, der Spannung zwischen Schärfe und Subtilität und auch von dem Wechselspiel von Perfektion und Unvollkommenheit. All diese Elemente vereinen sich zu einem Bild, das auf den ersten Blick einfach erscheint, aber bei genauerem Hinsehen viele Details und Geschichten offenbart. Es ist ein Bild, das Ruhe ausstrahlt und gleichzeitig dazu einlädt, immer wieder neue Facetten zu entdecken.
Tipp
Nutze das Spiel von Licht und Schatten, um Spannung in deinen Bildern zu erzeugen. Überlege vor Ort, wie du vermeintliche Störfaktoren als sympathische, unvollkommene Details authentisch in deine Bildkomposition einbringst.
Bei bewölktem Himmel

274 mm | ƒ 16 | 1/160 s | ISO 2000 | Vollformat | freihand
Bei diesem Foto handelt es sich um eine alternative Herangehensweise zu meinem ersten Motiv, das durch das Spiel von Sonnenlicht und Schatten geprägt war. In dieser Szene fehlt das Sonnenlicht völlig; der Himmel war bedeckt. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb bot sich eine spannende Möglichkeit, die Atmosphäre des Waldes auf eine ganz andere Weise einzufangen. Solche Bilder kannst du fast überall aufnehmen, solange das Licht auf eine gewisse Weise in den Wald hineinfällt und die Strukturen der Bäume sichtbar werden.
Auch hier kam das Licht von der rechten Seite, doch es war diffus und weich, ohne die intensiven Kontraste von Licht und Schatten, die bei direkter Sonneneinstrahlung entstehen. Die Bäume besitzen jedoch eine faszinierende Textur auf ihren Stämmen und sind teilweise von Flechten überzogen, die den Oberflächen eine natürliche, interessante Struktur verleihen. Diese feinen Unterschiede in den Texturen und Farben der Baumstämme sorgen für ein subtil wirkendes Farbenspiel, das lebendig erscheint, obwohl
direktes Licht fehlt. Die Unterschiede in der Farbe der Stämme, die von einem grünlichen bis hin zu einem fast bläulichen Ton reicht, sorgen für Abwechslung, ohne dass ein einzelner Baum dabei besonders
heraussticht. Es ist das Zusammenspiel der unterschiedlichen Texturen und Farbtöne, das dem Bild Ausdruckskraft verleiht.
Technisch habe ich bei diesem Bild eine ähnliche Herangehensweise wie bei der vorherigen Aufnahme gewählt. Die Wahl der Brennweite und Blende war darauf ausgerichtet, die Stämme scharf und detailliert darzustellen, um den Fokus auf ihre Struktur und ihre feinen Farbnuancen zu legen. Doch im Gegensatz zum ersten Bild fehlte hier das Licht. Stattdessen habe ich mich auf die Vielfalt und die Anordnung der Stämme konzentriert. Ihre parallele Ausrichtung im Bild verstärkt die ruhige Szenerie, die Bildkomposition
wirkt dabei harmonisch und ausgewogen.
Besonders wichtig war mir, den Bildausschnitt so zu wählen, dass der Himmel und der Boden außerhalb des Bildes bleiben. Indem ich die Baumkronen und die Wurzeln bewusst aus der Komposition ausgeschlossen habe, konnte ich die Konzentration auf die wesentlichen Elemente lenken. Die Perspektive, die beim Fotografieren mit einer längeren Brennweite entsteht, verstärkt die Wirkung noch einmal zusätzlich. So wirkt das Bild in sich reduziert und doch voller Details. Der dunkle Hintergrund unterstützt diese Konzentration auf das Wesentliche, indem er die helleren Bereiche der Baumstämme stärker hervortreten lässt. Durch den Verzicht auf jegliche weiteren Elemente im Bild konnte ich die minimalistische Wirkung noch verstärken.
Diese Aufnahme zeigt, dass du auch an Tagen, an denen das Licht nicht optimal erscheint, besondere Momente und Motive im Wald finden kannst. Es ist nicht immer das Sonnenlicht, das die entscheidende
Rolle spielt und ein Bild interessant macht. Die Texturen, die Farben und die Anordnung der Motive können auch ohne starkes Licht zu einem spannenden Bild führen.
Tipp
Auch wenn schönes Sonnenlicht deinen Bildern das gewisse Etwas verleihen kann, solltest du im Hinterkopf behalten, dass es nicht allein für ein gutes Bild entscheidend ist. Gerade an Tagen mit diffusem Licht kannst du faszinierende Texturen und Farbunterschiede einfangen.
Über Sandra Westermann

Sandra Westermann lebt in Norddeutschland und ist mitten in der Natur aufgewachsen. Sie arbeitet seit vielen Jahren als Naturfotografin, ist Vollmitglied der GDT, hält Vorträge, schreibt Texte und leitet Naturfotografie-Workshops. Viele ihrer Bilder wurden bei nationalen und internationalen Wettbewerben ausgezeichnet. Sie ist immer auf der Suche nach dem Zauber in der Natur. Diesen zu finden und in ihren Bildern festzuhalten, ist ihr großer Ansporn.
Sandras wunderschönen Bilder könnt ihr auf ihrer Webseite oder ihrem Instagram-Account ansehen.

Markus Botzek, Frank Brehe, Silke Hüttche, Thomas Scheffel, Sebastian Vogel, Sandra Westermann
408 Seiten, gebunden, 44,90 Euro
ISBN 978-3-98889-032-0
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