Kann die Vogelfotografie der Wissenschaft nutzen? (c) Jörg Asmus

Kann die Vogelfotografie der Wissenschaft nutzen? (Teil 1)

Ein Gastbeitrag von Jörg Asmus

Gleich zu Beginn dieses Beitrags könnte diese Frage eindeutig mit einem „Ja“ beantwortet werden! Allerdings auch nur dann, wenn die Wissenschaft von relevanten Fotografien überhaupt Kenntnis erlangt. Die Vogelfotografie soll an dieser Stelle aber lediglich als Beispiel dienen, weil ich selbst als ambitionierter Vogelfotograf nahezu ausschließlich diese Tiergruppe als Motiv in der Natur suche. Mein persönliches Ziel ist es dann nicht unbedingt, eine Vogelart XY beispielsweise auf einem knorrigen Ast ablichten zu wollen, möglichst im Gegenlicht und dann vielleicht auch noch in einer künstlerisch anmutenden Bewegungsunschärfe, durch die es mitunter schwerfällt, eine Artzugehörigkeit sicher zu ermitteln. Wobei mir solche Fotos auch gefallen, bin ich selbst eher der Typ Fotograf, der unter anderem in seinen Aufnahmen nach Dingen sucht, die vielleicht auch für andere Menschen von Interesse sein könnten. Jeder aber so, wie er es mag!

Diese persönliche Ambition hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass ich bereits in den 1990er Jahren damit begonnen hatte, in naturhistorischen Sammlungen Vogelpräparate verschiedener Spezies zu dokumentieren und meine dort entstandenen Aufnahmen später in Ruhe noch einmal genauer anzuschauen, wobei ich im direkten Vergleich der Bilder auf spezielle Details bei den Präparaten achten musste. So hielt ich mich beispielsweise vor einigen Jahren einige Zeit in der weltweit größten Vogelsammlung im Natural History Museum Tring (Großbritannien) sowie im Museum für Naturkunde Berlin auf und habe in beiden Museen insgesamt 249 Sonnenvögel (Leiothrix lutea) vermessen und jedes einzelne Sammlungsstück fotografiert. Bei der anschließenden Auswertung der Bilder von einzelnen Museumspräparaten, in Verbindung mit den erhobenen Daten von jedem einzelnen Balg, stellte sich am heimischen Computer schnell heraus, dass sich die Schnäbel bei 2 Unterarten vom Sonnenvogel während der Fortpflanzungsperiode verfärbten; was damals noch eine neue Erkenntnis darstellte. Durch entsprechende Publikationen über diese Feststellung in diversen Zeitschriften wurden systematisch arbeitende Wissenschaftler in Deutschland auf meine Arbeit aufmerksam gemacht und so wurde mir unter anderem auch dafür 2015 ein renommierter Preis der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft (DO-G) verliehen. Damals habe ich mich unwahrscheinlich darüber gefreut, dass unter anderem auch meine Fotos für all diese Untersuchungen von Nutzen waren, selbst wenn die Bildqualität in all diesen Fällen aus heutiger Sicht nicht gerade überwältigend war.

Museumspräparat von einem Schwalbensittich. Das Foto war Bestandteil einer Arbeit, mit der herausgefunden werden sollte, in welchem Ausmaß natürliche Farbabweichungen bei dieser Spezies vorkommen. Dabei kam es zu einer Zusammenarbeit mit Forschern aus europäischen und australischen Museen.

Die Fotografie von totem Tiermaterial kann wahrlich nur im weitesten Sinne als „Vogelfotografie“ bezeichnet werden und ist aufgrund verschiedener Voraussetzungen ganz bestimmt auch nicht unbedingt die Hauptmotivation eines jeden Fotografen. Aus einem guten Grund wollte ich dieses Beispiel hier aber dennoch kurz anschneiden, denn genau diese Fotos erlangten, jeweils als Dokumentation meiner Arbeit, ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit bei einzelnen Wissenschaftlern.

Aber kann Gleiches auch mit Fotos von in Freiheit lebenden Vögeln passieren? Natürlich! Wirklich interessante Aufnahmen entstehen immer wieder auch im Rahmen der Wildlife-Fotografie. Auch wenn es mitunter dann ebenfalls nicht die „schönsten“ Fotos sind, die etwaige Besonderheiten im Reich der Vögel belegen und der Fotograf aufgrund solcher Bilder vielleicht von anderen Menschen seines Berufsstands als Amateur oder sogar blutiger Anfänger bezeichnet wird – ein genauer Blick auf ästhetisch nicht so tolle und manchmal auch etwas verschwommene Fotos lohnt sich in manchen Fällen, wie wir gleich sehen werden.

Beispiel 1: Fischfressende Höckerschwäne

In Anglerkreisen wird hin und wieder berichtet, dass Höckerschwäne (Cygnus olor) auch Fisch fressen. Dabei soll es sich dann um Köderfische handeln oder auch geangelte Kleinfische, die vom Angelhaken gefallen sind. Handelt es sich bei solchen Erzählungen vielleicht um Anglerlatein, denn nach den Angaben in der Fachliteratur (Rutschke 1988, Kolbe 1999) ernährt sich der Höckerschwan von Grünteilen, Samen und Rhizomen der Sumpf- und Wasserpflanzen und den sich daran befindlichen Muscheln, Schnecken und Wasserasseln? Auf der Internetpräsentation vom Schwanenschutz-Komitee e.V. (www.schwanenschutz-komitee.de) heißt es: „Schwäne sind Vegetarier und fressen weder Fische noch Fischlaich. Bei entsprechenden Untersuchungen wurde in Mägen von Schwänen weder Fische noch Fischlaich gefunden“.

Kann die Vogelfotografie der Wissenschaft nutzen? (c) Jörg Asmus

Höckerschwan mit einer tot aufgefundenen Rotfeder im NSG Große Rosin, Mecklenburg-Vorpommern.

Tatsächlich findet man vornehmlich auf englischsprachigen Internetseiten aber Fotos, auf denen zu erkennen ist, dass einzelne Höckerschwäne einen Fisch im Schnabel halten und diesen scheinbar hin und her schleudern. Ich selbst habe am 13.09.2016 einen Höckerschwan in dem Überschwemmungsgebiet Große Rosin (Mecklenburg-Vorpommern) beobachten können, wie dieser eine Rotfeder (Scardinius erythrophtalmus) teilweise verzehrte. Der Schwan schleuderte den toten Fisch ebenfalls durch schnelle Bewegungen immer wieder hin und her, bis sich kleinere Fleischstücke lösten, die der Vogel dann herunterschluckte. Auch mir gelang es dieses Verhalten im Bild festzuhalten. Zu diesem Verhalten des Höckerschwans bin ich bei meinen Recherchen auch auf andere Quellen gestoßen, die meine eigenen Beobachtungen in Teilen bestätigten. Jedoch haben all diese Hinweise nach meinem Kenntnisstand noch nicht einmal ansatzweise Einzug in die entsprechende Fachliteratur gehalten.

Beispiel 2: Dohle schlägt jungen Feldsperling

In den meisten Fällen weiß man sehr viel über das Nahrungsverhalten der Vögel. Insbesondere europäische Arten sind in dieser Hinsicht sehr gut erforscht. Aber dennoch gibt es auch unter den europäischen Vögeln immer wieder einmal Beobachtungen von bisher nicht so häufig oder noch nicht eindeutig nachgewiesenen Situationen. Von Elstern (Pica pica) ist bekannt, dass deren Nahrung in Europa zur Hälfte tierischen Ursprungs ist. Während der Fortpflanzungsperiode decken diese Vögel sogar etwa 95 Prozent ihres Nahrungsbedarfs mit animalischer Kost. Kleine Wirbeltiere bis zur Größe einer Feldmaus werden von der Elster verzehrt. Das können zum Beispiel Amphibien, Echsen, Kleinsäuger und Eier sein, aber auch Nestlinge sowie kleinere Vögel. Ich habe vor einigen Jahren beobachten können, wie eine Elster in unserem Garten einen Feldsperling (Passer montanus) erbeutete, ihn mit starken Schnabelhieben tötete und danach fliegend in ihrem Schnabel davontrug. Dieses Verhalten der Elstern ist allgemein bekannt. Etwas anders wäre ein solches Verhalten wiederum bei der den Elstern verwandtschaftlich nahestehenden Dohle (Corvus monedula) zu bewerten, obwohl sich als Mageninhalt auch bei Dohlen vereinzelt und dann in geringem Maße bereits Teile von anderen Vögeln nachweisen ließen. Bei den aufgefundenen Resten im Magen dieser Untersuchungsobjekte ließ sich jedoch nicht bestimmen, ob diese Vögel von den Dohlen zuvor erbeutet worden sind oder ob es sich etwa um Totfunde handelte.

Die Nahrung der Dohle setzt sich vornehmlich aus Samen und Insekten zusammen, gelegentlich frisst sie auch Aas oder ernährt sich von menschlichem Abfall. Seltener wurden diese Spezies bisher dabei beobachtet, wie sie Jungmäuse aus einem Mäusenest nahm oder auch Vogeleier erbeutete. Conrad (1988) beobachtete am 24.09.1981 in Dessau eine Dohle mit einem Haussperling (Passer domesticus) im Schnabel. Er konnte an diesem Tag das Rupfen des „vermutlich“ gekröpften Haussperlings beobachten, das Schlagen des Sperlings durch die Dohle konnte von ihm allerdings nicht wahrgenommen werden.

Ich habe am 01.06.2021 eine Beobachtung machen und diese auch im Bild festhalten können. An jenem Tag befand sich gegen 06.10 Uhr eine Gruppe von etwa 30 Feldsperlingen auf dem Boden am Futterplatz in unserem Garten. Darunter waren zu etwa einem Drittel auch flugfähige Jungvögel zu erkennen. In unmittelbarer Nähe befanden sich des Weiteren 6 Dohlen auf dem Boden. Die sich der Feldsperling-Gruppe schnell nähernden Dohlen wurden sofort als Gefahr wahrgenommen, was bei den Feldsperlingen immer wieder sofort zu einer fluchtartigen Vergrößerung der Distanz führte.

Kann die Vogelfotografie der Wissenschaft nutzen? (c) Jörg Asmus

Dohle mit gefangenen Feldsperling in Mönsterås, Schweden. Die Dohle fixiert die Beute unmittelbar nach dem Fang mit der rechten Kralle und zieht den Hals des Sperlings mit dem Schnabel nach oben.

Eine Dohle näherte sich hingegen wesentlich langsamer, dem Anschein nach fortwährend nahrungssuchend, Stück für Stück einem noch unerfahrenen jungen Feldsperling. In der Nahdistanz erfasste die Dohle den Feldsperling dann schließlich durch eine schnelle Bewegung mit ihrem Schnabel am Hals und drückte ihre Beute sofort auf den Boden. Kurz darauf stellte sich die Dohle mit einem Fuß auf den Feldsperling, um die Beute auf dem Boden zu fixieren, und zog den Hals vom jungen Sperling mit ihrem Schnabel ruckartig nach oben. Einen kurzen Augenblick später flog sie mit dem tödlich verletzten Feldsperling davon. Auch wenn diese Darstellung womöglich ein trauriges Beispiel für eine seltene Fotodokumentation aufzeigt, sind solche Szenen auch Teil der Natur.

Kann die Vogelfotografie der Wissenschaft nutzen? (c) Jörg Asmus

Die Dohle mit dem tödlich verletzten Feldsperling kurz vor dem Abflug.

Beispiel 3: Seeadler verzehrt Große Teichmuschel

Zu einem weiteren Beispiel zur Thematik Ernährung fehlen mir bislang wiederum Literaturquellen, mit denen sich meine eigenen Beobachtungen auch nur ansatzweise bestätigen ließen. Am 22.07.2016 hielt ich mich ebenfalls im Überschwemmungsgebiet Große Rosin auf, als ich um 06.45 Uhr einen Seeadler (Heliaeetus albicilla) dabei fotografierte, wie dieser in etwas weiterer Entfernung mit einem gezielten Anflug eine Große Teichmuschel (Anodonta cygnea) im Flachwasser ergriff, diese fliegend zu einem abgestorbenen Baum transportierte und dort anschließend verzehrte. Durch ein Spektiv konnte ich beobachten, wie der Adler die Schale der Muschel öffnete und den Inhalt anschließend verzehrte. Leider war es mir nur möglich den Seeadler mit der Teichmuschel in der Kralle zu fotografieren; das Totholz, auf dem er seine Beute anschließend verzehrte, war für ein Foto bedauerlicherweise zu weit entfernt.

Kann die Vogelfotografie der Wissenschaft nutzen? (c) Jörg Asmus

Ein Seeadler nimmt im Flachwasser des NSG Große Rosin, Mecklenburg-Vorpommern, eine Große Teichmuschel auf und frisst den Inhalt im Anschluss auf einem abgestorbenen Baum.

Fortsetzung folgt…

Über Jörg Asmus…

Jörg wurde 1966 in Havelberg geboren. Er hat bisher 6 Bücher und zahlreiche Fachbeiträge zum Thema Ornithologie veröffentlicht. Jörg war Initiator und Mitinitiator von internationalen Erhaltungszuchtprojekten und ist seit 2013 eingeladenes Mitglied der „IUCN Species Survival Commission (SSC) Red List Authority“, die sich um die ständige Aktualisierung der bekannten Roten Liste bemüht. Des Weiteren ist er Mitglied der „IUCN Species Survival Commission (SSC) Europe“. In naturhistorischen Sammlungen hat er phänotypische Merkmalsvariationen und die Abgrenzbarkeit der jeweiligen Vogelgruppen studiert und darüber publiziert.

Für seine Arbeiten auf diesem Gebiet wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. 2015 mit dem Maria-Koepcke-Preis der „Deutschen Ornithologen-Gesellschaft (DO-G)“. Seit 2015 wandte er sich verstärkt der Wildlife-Fotografie zu, wobei sein Hauptinteresse seitdem auf die Avifauna Nordeuropas ausgerichtet ist. Mit seinen fotografischen Arbeiten nimmt er seit 2022 wiederholt erfolgreich an internationalen Fotowettbewerben teil und erhielt für eine Vielzahl seiner Fotos diverse Preise. Einige seiner Arbeiten wurden bereits in mehreren Ausstellungen bzw. Kunstgalerien präsentiert, so in Deutschland, Frankreich, Norwegen und Schweden.

Porträt Jörg Asmus

Zahlreiche weitere Bilder von Jörg gibt es auf seiner Homepage www.bird-photography.de zu sehen.

Hier geht es zu seinem Facebook-Profil.

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