"Schwarze Witwen" - Imeros | Griechenland

PROJEKT SIENTATE – Ein Sessel auf Reisen: Teil 2

Vom gut sein lassen / Ein Gastbeitrag von Stefan Sirtl

Ehrlich gesagt, ich habe nicht wirklich daran gedacht, den Sessel jemals wieder mit auf Reisen zu nehmen. Zu lang war es doch her, irgendwie das ganze Projekt auch unfassbar weit weg von mir selbst. Der Sessel war wieder Wohnzimmersessel und auch ich war irgendwie gesetzt. Und ich wollte die Erinnerung nicht trüben, manches sollte man einfach gut sein lassen.

"Schwarze Witwen" - Imeros | Griechenland
“Schwarze Witwen” – Imeros | Griechenland

Und doch: was, wenn doch? Was, wenn ich den Sessel mitnehmen würde auf die wirklich große Reise? Aus dem ersten verschämten Gedanken wurde bald schon wahnsinnige Euphorie, ein Gefühl von damals machte sich breit. Endgültige Gewissheit brachte dann der Platz-Check: der Sessel passte einfach zu perfekt in die Heckgarage unseres selbstausgebauten Reisemobils. Na dann!

Jetzt sind wir schon eine ganze Weile unterwegs, haben den Balkan durchquert und waren lange in Griechenland. Zeit, mal zurückzublicken.

Zugegeben, ich wollte diesen Artikel schon viel früher schreiben. Ich wollte viel früher erzählen von verrückten Erlebnissen mit Sessel, wollte farbenfrohe Portraits zeigen von Begegnungen entlang der Küsten des Balkans. Aber die ersten Wochen ist einfach nichts passiert. SIENTATE lief nicht an und ich war zunehmend frustriert, irritiert und irgendwie desillusioniert. War es doch keine gute Idee, hätte ich es doch einfach gut sein lassen sollen? Rückblickend kein Wunder.

© Sientate

So kam es, dass wir in Griechenland strandeten, wie so viele am Elea Beach endlich die langersehnte Ruhe fanden, und ich den spontanen Mut es nochmal zu versuchen. Ich trommelte den Strand zusammen: „SIENTATE – Geschichten vom reisenden Sessel! Heute Abend, kommt vorbei!“. Und sie kamen. Urlauber, Langzeitreisende und Aussteiger nahmen Platz auf selbst mitgebrachten Campingstühlen, im Kreis um mich und meinen Sessel, unter Pinien im Dämmerlicht der abtauchenden Sonne und funkelnden Lichterketten – Freilichtbühne frei! Ich war erst sprachlos, begann dann zögernd zu erzählen, mal auf Englisch, mal auf Deutsch, mal mit Händen und Füßen, ohne Leinwand, nur ein paar ausgedruckte kleinformatige Fotos machten die Runde.

Nach Spielfilmlänge dann Applaus, noch ein paar Gespräche unter Sternen und gute Nacht – wie gut das tat!

"Schmiere und Öle" - Soulinari | Griechenland
“Schmiere und Öle” – Soulinari | Griechenland

Seitdem ist viel passiert. SIENTATE lief endlich an – und Griechenland nahm Platz: Christo der Tankstellenwart, Georgios der Baumwollbauer, eine alte in schwarz gekleidete Witwe, und halb Athen! Fast wie von selbst, als hätte das Leben selbst wieder die Regie übernommen, entstand ein facettenreiches Portrait des griechischen Lebens. Ob am Wegesrand inmitten unendlicher Baumwollfelder, ob im stinkenden Gewusel des Athener Fischmarkts oder auf dem Dorfplatz eines namenlosen Ortes, die Menschen begegneten uns beeindruckend einladend, herzlich und mit Freude an der Idee. Selten brauchte es viele Worte, nicht mal Hände oder Füße, ein freundliches [Ja sas!] („Hallo!”) und der Anblick unseres roten Sessels genügte. Schon ließ der Baumwollbauer Georgios seine riesige Erntemaschine stehen, schulterte selbst den Sessel in sein Feld und nahm Platz, schon führte mich der Fischverkäufer Alexis durch das Marktlabyrinth und bewarb mein Projekt in wirksamster Manier eines athener Marktschreiers, schon wurde die Dorfälteste zum Fotoshooting aus dem Haus geklingelt.

"Schweres Erbe Weißes Gold" - Imeros | Griechenland
“Schweres Erbe Weißes Gold” – Imeros | Griechenland

Wieder einmal hatte der Sessel so manche Türen und Herzen geöffnet, uns nahen Kontakt zu Menschen und besondere Einblicke in deren Leben ermöglicht. Und wieder einmal hatte mich das Projekt eines Besseren belehrt: das Leben selbst schreibt die Geschichten, wenn man es lässt. Es braucht Ruhe, Vertrauen und eine große Portion Ausdauer, dann passiert’s – vielleicht – vielleicht aber auch nicht. Und so geht die Reise mit Sessel weiter, nächstes Ziel: Türkei!

Wer unsere Reise nah verfolgen will, kann uns auch gerne auf unseren Instagramkanälen @sientateproject für Sessel- und @araratururus für Vanlife-Content folgen. Hier im Blog werden weitere detailreichere konzentrierte Beiträge erscheinen über Momente und Facetten einer weiten Reise mit Sessel.

Die Geschichten zu den Portraits und weitere Hintergründe zum Projekt gibt’s auf sientate.de; zu unserem ersten Blogbeitrag gelangt ihr hier.

Über Stefan Sirtl

Stefan Sirtl

Stefan Sirtl ist ein Abenteurer durch und durch, getrieben von purer Lust am Leben, seiner Liebe zur Kunst und einer gehörigen Portion Verrücktheit. Ob als Promotionsstudent in Teilchenphysik, als Lehrer für Mathe und Physik im Klassenzimmer, oder als Amateur-Fotograf hinter der Kamera – Stefan Sirtl sucht nach Wegen, das Leben aus unterschiedlichen Perspektiven zu verstehen und seinen Blick auf die Welt zu teilen. Künstlerisch fand Stefan Sirtl mit „SIENTATE“ (spanisch für „Setz dich“) ein Herzensprojekt. Dabei reist er mit einem roten Sessel um die Welt und lädt Begegnungen ein, für ein Fotoportrait Platz zu nehmen. So ist über die Jahre ein farbenfrohes Bild der Vielfalt des Menschen entstanden – und die Reise geht weiter!

Instagram: https://www.instagram.com/sientateproject/

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