Mythisches Weideland – Yayginyurt | Türkei

PROJEKT SIENTATE – Ein Sessel auf Reisen: Teil 3

Warum eigentlich / Ein Gastbeitrag von Stefan Sirtl

Immer wieder werde ich gefragt – oft ungläubig verdutzt, meistens wundervoll staunend und schon auch mal verwirrt missachtend – warum eigentlich? Warum reist man mit einem 15 Kilo schweren klobigen roten Sessel um die Welt? Ginge es nicht auch einfacher? Oft kommt dann die glorreiche Idee vom aufblasbaren Sessel, oder warum nicht einfach einen Motor einbauen? 12-Zoll-Fahrradreifen kann ich ja immerhin schon mittels DIY-Sportrollstuhl-Klicksystem dranstecken.

Und zugegeben, hin und wieder frage ich mich auch selbst, warum eigentlich? Wenn ich mal wieder vollbepackt mit Kamera-Equipment den Sessel vor mir herschiebe, durch irgendein Großstadtlabyrinth, vor Anstrengung und Spannung schwitzend, Menschen mit großen Augen und Zeigefingern, Bordsteine, Metro-Schleusen … Oder wenn ich den Sessel auf dem Kopf mal wieder durch die gottverlassene Pampa trage, mein Nacken schmerzt, über Stock und Stein, und schon die Geier über mir kreisen. Dann frage ich mich auch, warum eigentlich? Vielleicht kann ich in diesem Bericht überzeugen, alle und mich: es lohnt sich!

Gerade geht ein weiteres Kapitel unserer Reisegeschichte zu Ende. Wir schippern übers Meer, von einem Ende Europas zum anderen, ein sanftes Auf und Ab durch die dunkle schimmernde Nacht. Zum ersten Mal seit sechs Monaten schlafen wir nicht im Camper, haben uns den Komfort einer Kabine mit Stockbett und Meerblick gegönnt. Ich liege wach und träume. Reisemomente der letzten Monate durch die Türkei kommen hoch, schwirren in meinem Kopf durcheinander, von der Erinnerung bunt geschmückt, und tauchen wieder ab.

Wie wir direkt die erste Nacht kurz hinter der Grenze am Straßenrand einer Wohngegend übernachteten, uns noch unsicher waren ob wir hier sicher waren, und morgens dann von einem forschen Klopfen an unsere Bustür geweckt wurden. „Türkiye’ye hoşgeldiniz!“ (Willkommen in der Türkei!) strahlte uns ein alter Mann entgegen und reichte uns kleine Gläschen Tee, selbstgemachten Brotaufstrich und süßes Gebäck, da war er auch schon wieder weg. So verdutzt wir erst auch waren, so wurde die unfassbare Gastfreundlichkeit der türkischen Menschen bald fast schon zur Gewohnheit, nahm uns jede Sorge tiefer einzutauchen in eine zwar fremde, aber unglaublich warmherzige Kultur.

Wie uns Richtung Osten der Winter einholte, wir in Kappadokien unter bunten Heißluftballons eingeschneit wurden, uns bei -21° sogar die Wasserleitungen im Camper einfroren. Weiter, immer weiter, über den Euphrat nach Ostanatolien, die Standheizung im Dauerbetrieb, vorbei am Vansee und entlang der iranischen Grenze, bis sich vor uns ein mächtiger, schneebedeckter Gipfel erhob: wir hatten tatsächlich den Berg Ararat erreicht!

Und ausgerechnet dort, inmitten der Weiten dieses geschichtsträchtigen Hochlandes, winkt uns der kurdische Schäfer Yusuf zu anzuhalten. Wenig später treiben wir gemeinsam seine Schafsherde zusammen, zum Fotoshooting mit Sessel. Es braucht ein paar Anläufe, immer wieder reißen die Schafe aus, keine Zeit für fotografische Perfektion, Klick! Was ein Moment!

Mythisches Weideland – Yayginyurt | Türkei
Mythisches Weideland – Yayginyurt | Türkei
Kupferklopfer - Gaziantep | Türkei
Kupferklopfer – Gaziantep | Türkei

Oder als ich mit Alexandre, einem französischen Backpacker mit Fuji-Fabel, in Şanlıurfa nahe der syrischen Grenze loszog, um gemeinsam mit Kameras und Sessel einen der ursprünglichsten und verwinkeltsten Bazare der Türkei zu entdecken, sich aller Argwohn in Vertrauen wandelte, und dann doch alle mal Platz nehmen wollten für ein Foto, Lachen und Schulterklopfen. Was für ein Moment!

Und als wir unterkühlt und sozial ausgehungert an der türkischen Riviera endlich wieder auf andere reisende Familien trafen, auftauten, alle eins wurden, nach Wochen dann das Abschiedsfoto mit Sessel mitten in den Dünen von Patara. Was ein Moment!

Für mich sind es Momente wie diese, für die es sich lohnt. Besondere Momente, in denen sich Knoten lösen und Bande knüpfen, in denen die Zeit kurz still und alles Kopf steht, in denen ich mich ganz nah am Leben fühle und KRRRR DING DONG, GOOD MORNING PASSENGERS! WE ARE APPROACHING OUR DESTINATION, PLEASE LEAVE YOUR CABINS KRRRR WELCOME TO MOROCCO!

Wer unsere Reise nah verfolgen will, kann uns auch gerne auf unseren Instagramkanälen @sientateproject für Sessel- und @araratururus für Vanlife-Content folgen. Hier im Blog werden weitere detailreichere konzentrierte Beiträge erscheinen über Momente und Facetten einer weiten Reise mit Sessel.

Die Geschichten zu den Portraits und weitere Hintergründe zum Projekt gibt’s auf sientate.de; zu unserem ersten Blogbeitrag gelangt ihr hier, den zweiten findet ihr hier.

Über Stefan Sirtl

Stefan Sirtl

Stefan Sirtl ist ein Abenteurer durch und durch, getrieben von purer Lust am Leben, seiner Liebe zur Kunst und einer gehörigen Portion Verrücktheit. Ob als Promotionsstudent in Teilchenphysik, als Lehrer für Mathe und Physik im Klassenzimmer, oder als Amateur-Fotograf hinter der Kamera – Stefan Sirtl sucht nach Wegen, das Leben aus unterschiedlichen Perspektiven zu verstehen und seinen Blick auf die Welt zu teilen. Künstlerisch fand Stefan Sirtl mit „SIENTATE“ (spanisch für „Setz dich“) ein Herzensprojekt. Dabei reist er mit einem roten Sessel um die Welt und lädt Begegnungen ein, für ein Fotoportrait Platz zu nehmen. So ist über die Jahre ein farbenfrohes Bild der Vielfalt des Menschen entstanden – und die Reise geht weiter!

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