Ein Gastbeitrag von Guido Alfes (Hier geht es zum ersten Teil des Berichtes.)
Wann fängt Dynamik beim Motorsport an? Wenn man nicht mitzieht und einen festen Bildausschnitt hat, hängt dies sehr von der gefahrenen Geschwindigkeit ab. Bei ca. 130 km/h wird eine minimale Rotation der Reifen ab 1/320 Sekunde sichtbar. Die Karosse ist dann aber immer noch ordentlich scharf. Ist der Renner langsamer unterwegs kann man die Zeiten auch verlängern, 1/250 oder auch 1/200 sind möglich, allerdings steigt das Risiko, dass der Wagen an sich unscharf wird, deutlich an. Die Königsdisziplin wäre dann tatsächlich der Mitzieher, wo es dann auch bis zu 1/50 Sekunde und länger gehen kann. Hier zeigen vor allem die neuen Objektive mit Stabilisator i.d.R. deutliche Vorteile gegenüber ihren nichtstabilisierten Varianten. Auch der Bildaufbau kann zur Dynamik beitragen und so kann man Kurvenansichten auch gerne kippen. Allerdings sollte man es hierbei nicht übertreiben.
Meine Ausrüstung war zu diesem Zeitpunkt bereits mit der EOS R und dem RF 24-105/4 L IS USM ergänzt. An der Nordschleife bietet das Objektiv jedoch von den normalen Zuschauerbereichen etwas zu wenig Brennweite am Vollformat. Der Einsatz eines Polfilters (wie auch eines leichten Graufilters) verlängerte bei gutem und hellen Wetter die Belichtungszeit ausreichend und so sind mir mit dem alten (nichtstabilisierten) 70-200er einige Mitzieher im Karussell gelungen die in die richtige Richtung gehen. Mehr als 1/200 war aber zu meinem damaligen Erfahrungsstand nicht drin…
Im September 2019 habe ich dann einen Fotoworkshop am Ring mitgemacht. Freitags, zum freien Training, ging es in die Boxengasse und es wurden viele Impressionen gesammelt. Am Samstag gab es dann inkludierte Mediawesten (Akkreditierung) und es ging „richtig“ an die Strecke, also in die Bereiche wo eben nur die Presse hinkommt. Im Vorfeld wurden die wesentlichen Dinge der Motorsportfotografie besprochen und eine der Kernaussagen war, dass es um die Dynamik, Dramatik und Geschwindigkeit geht und diese dargestellt werden muss. Die absolute Schärfe ist nebensächlich, es reicht aus, wenn nur Teilbereiche des Autos scharf sind. Die Bildwirkung steht damit über allem. Im Gegenteil zur absoluten Schärfe hat der Workshopleiter dann sogar Aufnahmen mit 1/6 Sekunde und einer 135er Festbrennweite mit offener Blende von 1.8 gemacht und hier geht es dann tatsächlich ins Künstlerische über. Da ist ein ähnlicher Paradigmenwechsel wie vor einigen Jahren in der Naturfotografie zu beobachten.
Im Bereich der Grand-Prix Strecke und an der Nordschleife sind mir dann Bilder mit bis zu 1/30 Sekunde gelungen und hier hat das o.g. RF 24-105er L seine Performance voll ausgespielt. Bei der Nähe zu den Autos (hinter der Leitplanke) deckt es eine sehr gute Range ab und Blende 4 ist nun auch nicht so schlecht um auch den Hintergrund neben dem mitziehenden Wischeffekt in der Unschärfe zu präsentieren. Es ist schon ein echtes Aha-Erlebnis, wenn sich die Speichen der Felgen durch die Rotation auflösen und man direkt auf die Bremsscheibe gucken kann. Der Hintergrund ist insgesamt nicht zu vernachlässigen, allerdings tritt er zumeist deutlich zurück und lässt dem Auto die deutliche Dominanz im Bild. Erwischt man das Auto sauber mit z.B. 1/50 Sekunde und hat es dann vom Hintergrund so erwischt, dass es passt, ist ein großartiges Sportfoto entstanden.
Ein Wort zur EOS R als Sportkamera halte ich für angebracht. Natürlich gibt es explizitere Kameras für diesen Fotobereich, die R schafft nur 5 Bilder bei Nachführautofokus und immerhin 8 bei ausgeschaltetem AF und Fokusfalle. Es ist aber nicht so, dass man damit keine guten Motorsportfotos machen kann, zumal der AF sehr schnell ist und gerade mit den neuen RF-Objektiven hervorragend funktioniert. Die R war Canons erster Wurf im Bereich der spiegellosen Kameras und weitere Modelle wie die R5, mit deutlich höherer Bildgeschwindigkeit, sind ja bereits angekündigt.
Mittlerweile bin ich für das Portal NRingInfo.de professionell am Nürburgring unterwegs. Da ich neben Motorsport natürlich auch in der Natur- und Landschaftsfotografie sowie Industriekulturfotografie unterwegs bin, lag es nahe, dass ich die R mittlerweile mit dem RF 15-35/2.8 L IS USM bestückt habe. Intensive Tests von ausfahrenden Autos aus der Boxengasse müssen allerdings noch erfolgen um hier eine abschließende Meinung zu bekommen.
Ganz bewusst für den Motorsport habe ich aber mein altes (Blende 4) 70-200er durch das RF 70-200 f/2.8 L IS USM ersetzt. Das ist tatsächlich eine Traumlinse in jeder Hinsicht. Viele AF Treffer und tolle Mitzieher sind mir hiermit bei den Test- und Einstelltagen der Nürburgringlangstreckenserie (NLS; neuer Name der VLN) gelungen. Das geringe Gewicht erlaubt völlig freies Fotografieren ohne Einbeinstativ und der Polfilter kann trotz aufgesetzter Sonnenblende bedient werden. Dafür gibt es natürlich eine klare Kaufempfehlung von mir.
In Zeiten des Coronavirus ruht der Rennsport natürlich und es bleibt abzuwarten, ob, wann und in welcher Form die diesjährige Saison überhaupt fortgesetzt wird.
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