Die Liebe in Zeiten der Cholera. Als ich dem Mandarinentenpaar zusehe, habe ich mit einem Mal diesen Buchtitel im Kopf. Die Corona- Thematik, Spaziergänger mit Mundschutz und unser aller Bedacht auf Abstand zueinander mag da eine Rolle gespielt haben.
Unbeirrt von den Sorgen der Menschen haben die Mandarinenten nur Augen für sich. Wie heisst es doch so schön, Liebe macht blind. Und so bemerken die beiden nicht die zänkische Blässralle, die in ganz flacher Körperhaltung heranschwimmt, wodurch den aufmerksamen und erfahrenen Naturbeobachtern und Teichbewohnern gleichermaßen zu verstehen gegeben wird, dass der schwarze Geselle auf Krawall aus ist. Im nächsten Moment erfolgt die Attacke, für die der erfahrene und aufmerksame Naturfotograf zu langsam ist und die das Liebespaar auseinander sprengt. Schnell finden sie jedoch wieder zusammen und verziehen sich zu Fuß in ein nahes Bachbett, wo sie vor den Blicken der Ralle verbogen sind.
Zunächst bin ich wenig begeistert. An dem etwas tiefer in einem Graben fließenden Bach sind die Lichtbedingungen vermeintlich schlechter, da der Ort dunkler ist. Aber zum Glück schau ich mir das Ganze dann doch mal an. Und wie so oft, wenn man zunächst glaubt, nörgeln zu müssen, entpuppt sich die Lage als gar nicht mal so schlecht. Das Licht ist nicht schlechter, nur eben anders. Es kommen andere Farben ins Spiel, Lichtreflexionen und eine natürlichere Anmutung als eben noch am großen Teich.
Schnell ist auch bei den Enten die freche Ralle vergessen und man widmet sich wieder abwechselnd der Nahrungssuche und dem Partner. Mir fällt auf, dass der bunte Erpel in all seiner Pracht kaum einmal mehr als zwei Meter zwischen sich und seine Angebeteten kommen lässt. Um diese Nähe aufrecht zu erhalten, watschelt er ihr folgsam hinterher. Auch wenn er farblich deutlich die Nase bzw. die Schnabelspitze vorn hat, gibt sie die Richtung und das Tempo an. Wie so oft. Im Tierreich. Also bei Vögeln. Da sind die Männchen bunt, machen richtig was her, während die Weibchen eher schlicht gekleidet durch das Leben gehen. Und genau deshalb etwas länger leben, da sie besser getarnt sind. Nach der Paarung haben Erpel, Hähne und viele andere bunte Gockel mit der Aufzucht des Nachwuchses nicht unbedingt viel zu tun. Das wird oft fehlinterpretiert. Mit Faulheit, Machogehabe oder gar Coolness hat das nichts zu tun. Die bunten Vögel würden sogar für die Küken eine Gefahr darstellen, da sie so auffällig gefärbt Feinde anlocken können. Und das tun sie auch, nur eben ausreichend weit von Weibchen und Nachwuchs entfernt. Also alles vor allem eine Show, die schon mal gewaltig nach hinten losgehen kann.
Und so folgt er dem Webchen irgendwann auch wieder aus dem Bachgraben heraus zurück zum Teich. Als die Vögel über den Spazierweg schreiten, der um das Gewässer herum führt, bleiben ein paar Menschen in gebotenem Abstand stehen. Wie ich hören kann, hat man so bunte Vögel weder schon mal gesehen noch kann man sie zuordnen. Die einen halten sie für Hühner, weil sie so bunt sind, andere halten sich mit Vermutungen zurück. Dann sorgen die Mandarinenten für Streitigkeit in der Hühnerfraktion, die lebendig die Frage diskutiert, ob Hühner schwimmen können oder nicht. Und da man zu keinem einvernehmlichen Ergebnis kommt, geht man weiter. Nun allerdings mit einem für Familienangehörige gar nicht geforderten Mindestabstand von drei Metern. Den anderen erkläre ich wie die Vögel heißen und das sie aus China kommen, was dazu führt, dass ich schneller als erwartet wieder alleine bin. So alleine, wie man an einem Teich mit Rundwanderweg im Ruhrgebiet eben sein kann.
Ich habe mich im Vorfeld gefragt, ob man an diesen Ort, den Abtskücher Teich in Heiligenhaus südlich von Essen, überhaupt zum fotografieren gehen kann. Tatsächlich ist der Teich von Joggern und Spaziergängern gut besucht, aber die allermeisten achten auf Abstand zueinander und sind umsichtig. Das war noch vor zwei Wochen ganz anders. In der Tat ist es im Ruhrgebiet nicht einfach, eine Fotolokation zu finden, die man vollkommen für sich alleine hat. In Mecklenburg kann man im Wald verschwinden und es vermeiden, irgendwem zu begegnen. Das geht hier nicht. Umso wichtiger und erfreulicher, dass die Menschen diszipliniert und rücksichtsvoll mit der Situation umgehen. Dann ist auch die Naturfotografie weiter möglich. Aber bitte alleine.
Die Enten inspizieren mittlerweile den Ufersaum, und das Weibchen verschwindet ab und an sogar in Erdlöchern und auseinander gebrochenen Baumstämmen. Sie sucht eindeutig nach einem Nistplatz. So richtig zufrieden scheint sie aber nicht zu sein und äugt mit schräger Kopfhaltung immer wieder in die Höhe. Um dann unvermittelt aufzufliegen und ein wenig ungelenk im Geäst der Weide vor mir zu landen. Der Erpel ist schlagartig auch ganz aufgeregt und folgt ihr. Wähend sie einige Höhlungen im Baum untersucht, hält er Wache. Und sich dann doch erstaunlich gut auf den schmalen Zweigen.
An diesem Tag werden die Mandrinenten bezüglich einer Behausung nicht fündig. So eilig scheinen sie es nicht zu haben. Und fliegen mit einem Mal einfach ab und verschwinden im Gehölz auf der anderen Straßenseite. Ein weiteres Paar schläft träge im Geäst eines in das Wasser gestürzten Baumes. Schade, denn das Licht wird gerade interessant. So nutze ich die Gelegenheit und widme mich noch ein wenig den Reiherenten und Haubentauchern. Die restliche Zeit vergeht wie im Flug, und der Fototag ist erst einmal um. Mir kommt abermals der etwas sperrig anmutende Buchtitel in den Sinn, den ich wohl nur deshalb kenne, weil das Buch verfilmt worden ist. Und ich gerne ins Kino gehe. Da wird mir der Titel mal über den Weg gelaufen sein. Ich nehme mir vor, Erkundungen über den Inhalt einzuholen und ggf. das Buch mal zu lesen. Man hat ja gegenwärtig schon ein bißchen mehr Zeit zur Verfügung, als man für einen Film benötigt. Und sollte sich die Zeit zum Lesen ohnehin öfter mal nehmen. Einer Studie der Universität Yale zu Folge verlängert Lesen das Leben signifikant. Ich könnt ja auch mal wieder meine Spiderman-Comicsammlung aus dem Keller holen…
Wer einmal, vielleicht auch im nächsten Jahr, die Mandarinenten am Abtskücher Teich besuchen möchte, kann das zu jeder Tageszeit tun. Menschen wird er immer antreffen. Am Wochenende sicher ein paar mehr, leer ist es Wochentags aber auch nicht. Ganz früh am Morgen hat man naturgemäß am ehesten seine Ruhe. Am Abend hat man von dem Bereich, wo Modellboote eingelassen werden dürfen, sehr schönes Licht bzw. tolle Farben auf dem Wasser. Und kann hier eine sehr flache Perspektive einnehmen. Leider hatte ich nicht das Glück, dass sich die Mandarinenten zu dieser Zeit dort aufhielten. So muss ich im nächsten Jahr wieder hin. Vielleicht sieht man sich dann ja.
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Ich habe mich in diese Vögel verliebt.
Sowas schönes habe ich selten gesehen.
Bin froh dass es noch so tierliebe Menschen gibt 🙂
Liebe Grüße
Tina